Wiederaufbau

Mit dem 19. März war das alte Hanauer Stadtbild für immer verloren. Wiederaufbau meinte nicht die Wiederherstellung der früheren Zustände, sondern zeitgemäße Neubauten an den früheren Standorten. Politik und Fachkräfte wollten „eine neue Stadt […], die gesünder gebaut ist, als es die zerstörte war.“ Nur punktuell blieb die historische Bausubstanz erhalten und wurde in zeitgemäßen Formen ergänzt.

„Man fragt sich, ob die intensiven Wohnungsbaumaßnahmen nur mit neuen Vernichtungen der noch vorhandenen ältesten Bestände der Stadt zu bewerkstelligen sind. Was einmal eingerissen ist, das ist uns unwiederbringlich verloren. Und was werden unsere Nachkommen einst sagen, wenn wir auch dieses Denkmal aus der Vergangenheit für immer auslöschen?“

Unbekannter Leserbriefschreiber

Hanauer Anzeiger 1949

Nachdem Fachkräfte und Politiker seit Sommer 1945 Visionen und Pläne für das künftige Stadtbild entworfen hatten, mündeten die Vorstellungen ab 1947 in Beschlüsse für die Verbreiterung von Straßen und die Neugestaltung von Platzräumen. Das Straßenraster der Neustadt blieb erhalten, während in der Altstadt neue Parzellierungen die Grundlage für großflächige Wohnbauprojekte boten. Die einst engen und dunklen Gässchen verschwanden zugunsten einer aufgelockerten Bauweise. So mussten in der Nordstraße die Reste der Stadtmauer für 250 neue Wohnungen weichen.

Schnellen Erfolgen im Wohnungsbau ordnete die Stadtpolitik das historische Erbe und die Ausführung der Bauten unter. Nach einem umfassenden Neuzuschnitt der Parzellen entstanden moderne zwei- bis dreigeschossige Wohnblöcke in modernen, aber oft eintönigen Formen. Das erste Wohnungsbaugesetz setzte zeitgemäße Vorgaben für Raumgrößen, Belüftung und Ausstattung der Wohnungen. Somit hob sich der Wohnstandard deutlich zu früher.

Im Umgang mit der historischen Bausubstanz setzte Hanau auf pragmatische und wenig traditionsbewusste Lösungen. Am Schlossplatz wurde bis 1950 der ehemalige Marstall als Stadthalle und Kulturzentrum wiederhergestellt und der ehemalige Kanzleibau für die Stadtbibliothek und Volkshochschule ertüchtigt. Die weiteren Flügel des ehemaligen Stadtschlosses lagen bis Mitte der 1950er Jahre in Trümmern und wichen dem Neubau der 1960 eingeweihten Karl-Rehbein-Schule. Das 1958 wiedereröffnete Deutsche Goldschmiedehaus sollte an die verlorenen Fachwerkbauten der Altstadt erinnern.

Die zerstörten Hanauer Kirchen wurden bis 1960 mit wenigen Ausnahmen in vereinfachten Formen und mit Anpassungen an die zeitgemäßen liturgischen Vorstellungen wiederaufgebaut. Die Johanneskirche erfuhr eine Umwidmung zum Gemeindezentrum und von der Wallonischen-Niederländischen Doppelkirche wurde nur der kleinere, niederländische Teil 1957 bis 1960 wiederaufgebaut.

Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs verschoben sich Mitte der 1950er Jahre die architektonischen Vorstellungen. Vorbei waren die Zeiten, als mit Anpassungsbauten in Höhe und Dachform wie am Neustädter Markt an das verlorene Stadtbild angeknüpft werden sollte. Mit der Entscheidung für den 1957 eröffneten Kaufhof erhielten moderne Bauweisen aus Stahl und Glas im Stadtbild Einzug. Am Freiheitsplatz setzte sich diese Entwicklung fort: Reste der historischen Bauten wie die alte Hohe Landesschule, das Stadttheater oder das Zeughaus wurden abgerissen, um Parkraum, Busbahnhof und verbreiterte Straßen zu schaffen. Mit dem DGB-Haus und dem Y-Hochhaus entstanden an der Nordseite 1957 und 1958 Hanaus erste Hochhäuser.

Als letztes Bauwerk wurde 1965 das wiederaufgebaute Neustädter Rathaus vollendet und um einen U-förmigen, modernen Neubau ergänzt. Binnen zwei Jahrzehnten gelang aus den Trümmern eine neue Stadt zu errichten. Viele der Bauten und Entscheidungen der Wiederaufbauzeit bestimmen bis heute unser Zusammenleben.

Sanierungs- und Dachstuhlarbeiten am Goldschmiedehaus, im Hintergrund die Marienkirche, 1955

Die Fertigstellung dauerte bis zum 19. März 1958. Hinter der rekonstruierten Fassade wurden die Innenräume zeitgemäß für die Nutzung als Ausstellungshaus neugestaltet. Moderne Innenraumkonzeptionen fanden auch beim Neustädter Rathaus und dem Frankfurter Tor Anwendung.

Fundamentarbeiten an der Französischen Allee, 1950

Im Wiederaufbau erfuhr die Innenstadt eine großflächige Neuparzellierung. Die öffentliche Hand kaufte Grundstücke rund um die Nordstraße, die Altstadt und an der Französischen Allee, legte diese zusammen, vergab die Baumaßnahmen an die Baugesellschaften und erreichte so zügig Massenwohnungsbau und Wiederbelebung der Innenstadt.